Story:
Bett und Avery sind grundverschieden und hätten sich unter normalen Umständen nie kennengelernt. Das ändert sich, als ihre beiden alleinerziehenden Väter sich kennen und lieben lernen und beschließen, dass sie eine Familie werden könnten. Bett kontaktiert Avery via Mail und es ist der Beginn einer ungewöhnlichen Mail-Freundschaft zweier Mädchen, die sich anfangs nicht leiden können, die jedoch ein Ziel verbindet – ihre Väter müssen aufhören, sich zu lieben. Als die beiden Männer beschließen, die beiden ins selbe Sommercamp zu schicken, damit sie sich näher kommen, scheint ihr Plan aufzugehen, denn auch wenn die beiden Mädchen sich trotz allem vorwiegend Mails schreiben, teilen sie inzwischen ihre intimsten Gedanken und Gefühle, uns so abwegig scheint eine große Familie für Bett und Avery nicht mehr zu sein. Doch dann taucht Averys leibliche Mutter auf und sorgt für reichlich Wirbel und der gemeinsam Trip der Männer nach China offenbart, dass sie nicht ganz so gut miteinander harmonieren, wie erhofft …
Eigene Meinung:
Mit „An Nachteule von Sternhai“ erschien 2019 das gemeinsam geschriebene Kinderbuch von Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer im Hanser Verlag. Das Buch fällt aufgrund der Tatsache, dass die Geschichte rein durch E-Mails und Briefe erzählt wird, aus dem Rahmen und spricht neben einigen queeren Themen auch das Erwachsenwerden und die Probleme von Kindern an.
Die Geschichte beginnt mit der ersten Mail, die Bett an Avery schreibt und man erfährt nach und nach ihr familiären Hintergründe, wo sie leben und welche Stärken und Schwächen sie haben. Durch die vielen Mails, die die beiden miteinander austauschen, kommen sie sich unweigerlich näher und lernen die jeweils andere besser kennen, bis sie zu Freundinnen irgendwann sogar zu Schwestern werden. Auch die übrigen Figuren kommen mit der Zeit in Mails und Briefen zu Wort – die beiden Männer, die auf eine gemeinsame Familie gehofft haben, bis sie merken, dass sie zu unterschiedlich sind; Betts Großmutter, die einen gänzlich neuen Weg geht als sie Averys Mutter, eine bekannte Theaterregisseurin, kennenlernt, weitere Kinder, die Bett und Avery mit der Zeit kennenlernen. Es ist spannend, wie schnell man in der Geschichte ist und wie gut man die Handlung nachvollziehen kann, obwohl es sich nur um Mails und Briefe handelt. Natürlich fehlen an einigen Stellen stimmungsvolle Beschreibungen der Umgebungen, hin und wieder vermisst man bei einigen Themen die reale Interaktion der Figuren miteinander, doch es ist erstaunlich, wie viel die beiden Autorinnen mittels Mails vermitteln. Auch lernen junge Leser*innen die beiden Mädchen sehr gut kennen, denn die beiden vertrauen sich alles an, was sie beschäftigt – ihre Ängste und Sorgen, ihre Wünsche und Hoffnungen. Auf diese Art ist man Avery und Bett stets sehr nah und erlebt die Geschehnisse trotz der Distanz durch Mails und Briefen hautnah.
Die queeren Themen werden dabei sehr natürlich behandelt, ohne sie besonders hervorzuheben. Sowohl Bett als auch Avery sind von Menschen umgeben, die keinerlei Probleme damit haben, dass ihre Väter schwul sind. Manchmal hätte man sich gewünscht mehr von den beiden Männern zu erfahren, doch da Avery und Bett davon nur wenig mitbekommen, hat man als Leser*in leider nur wenig Einblick in die Beziehung der Männer. Auch einige weitere Themen, die spannend gewesen wären (z. B. der Sorgerechtsstreit zwischen Averys leiblicher Mutter und ihrem Vater) wird leider nur am Rande behandelt.
Die Figuren sind sehr sympathisch und authentisch. Avery und Bett sind grundverschieden, denn jede hat ihre Stärken und Schwächen. Wo Avery der introvertierte, zurückgezogene Bücherwurm ist, der alles durchdenkt, ist Bett spontan, extrovertiert und am liebsten draußen unterwegs. Kein Berg ist zu hoch, kein Fluss zu breit. Trotzdem haben die beiden viele Gemeinsamkeiten und ergänzen sich mit der Zeit – Avery wird mutiger, Bett etwas ruhiger. Es ist spannend zu sehen, wie sie sich mit jeder Mail aufeinander zu bewegen und beginnen sich zu vertrauen. Die übrigen Figuren lernt man am meisten durch die Mails der beiden Mädchen kennen, hin und wieder kommen sie selbst zu Wort. Den stärksten Eindruck vermittelt hierbei Betts Großmutter, die einen gänzlich neuen Lebensweg einschlägt. Leider bleiben die Väter ein wenig blass obwohl sie die ganze Sache ins Rollen gebracht haben.
Stilistisch fällt „An Nachteule von Sternhai“ ein wenig aus dem Rahmen, da die Geschichte nur durch Mails und Briefe erzählt wird und weitere Beschreibungen und Dialoge fehlen. Das ist zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig, doch mit der Zeit kommt man gut damit klar, dass die Handlung auf diese Art vorangetrieben wird und man die Entwicklung der Figuren nur durch die Mails und Briefe mitbekommt. Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer ergänzen sich dabei hervorragend – man kann davon ausgehen, dass eine der beiden Autorinnen aus Averys, die andere aus Betts Perspektive geschrieben hat. Beide Mädchen haben dadurch ihre eigene Stimme und ihre eigene Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte weiterentwickelt.
Fazit:
Mit dem Kinderbuch „An Nachteule von Sternhai“ legen Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer eine schöne Geschichte über Freundschaft, Familie und Zusammengehörigkeit vor, die wichtige Themen kindgerecht, humorvoll und spannend vermittelt. Die Figuren wachsen einem schnell ans Herz, man begleitet Avery und Bett sehr gerne auf ihrem Weg Bekannte, Freundinnen und schließlich Schwestern zu werden und durch den Trubel des Erwachsenwerdens. Auch du Aufmachung des Buches kann überzeugen – vom Cover über die Gestaltung der Mails und Briefe – alles ist wie aus einem Guss, was das Lesen zu einem wahren Vergnügen macht. Wer Kinderbücher mag, in denen auch queere Themen behandelt werden, sollte einen Blick riskieren und „An Nachteule von Sternhai“ eine Chance geben.